Leseprobe aus „Auf Messers Schneide“

Auszug aus Kapitel "Intermetzzo"

War er wahnsinnig? Ohne Zweifel! Sein psychischer Zustand war alles andere als stabil und Larken wusste das auch. Bisher war es ihm gelungen, seine Geisteskrankheit vor anderen zu verbergen. Nur bei einem Menschen schien es nicht zu funktionieren. Dieser Johnson wusste Bescheid. Er hatte es in den Augen dieses Mannes gesehen. Hinter diesen Augen steckte ein messerscharfer Verstand. Johnson machte ihm Angst. Er war zielstrebig, kalt, skrupellos und würde Larken beim kleinsten Zweifel an seiner Loyalität über den Haufen knallen. Dessen war sich Perkins sicher. Es war besser, die Gruppe zu verlassen. So wie die Dinge lagen, würde es niemandem von ihnen gelingen, hier lebend herauszukommen. Vielleicht dieser Johnson und die Kaiserin. Die anderen waren nur Kanonenfutter, ein Mittel zum Zweck. Larken dachte an den Moment zurück, an dem er Johnson vorgestellt wurde. Vierhundertdreiundachzig bestätigte Abschüsse. Da war wieder dieses laute Kichern in seinem Kopf. Lächerlich! Eines war sicher, er würde jedem, der hinten in der Biegung auftauchte, einen sauberen Kopfschuss verpassen. Machte er dabei einen Unterschied zwischen Menschen und Alien? Unwahrscheinlich. Er hatte noch nie unterschieden. Ein Ziel war ein Ziel. Basta! Frau, Kind, Mann oder Alien – einzig allein der saubere Schuss zählte. Perkins überprüfte nochmals seine Ausrüstung und wechselte auf panzerbrechende Munition. Das Gewehr war neu und noch nicht eingeschossen. Das war ärgerlich. Die ersten zwei oder drei Schuss benötigte er zum Justieren. Für Larken zählten nur die Kopfschüsse, andere Treffer zählte er nicht mit. Das Display des Scharfschützengewehrs zeigte volle Bereitschaft an und das Magazin war mit 50 Schuss gefüllt. Fast zärtlich legte Perkins zwei weitere Magazine auf den Boden neben sich. Dazu legte er noch ein rotes Magazin mit Antimateriegeschossen. Nur für den Fall. Plötzlich dachte er über den Tod nach. Würde er heute sterben? Das war nach seiner Einschätzung sehr wahrscheinlich und es war auch okay. Wenn einer den Tod verdient hatte, dann Larken Perkins. Zu viele unschuldige Leben hatte er genommen und heute würden noch einige dazukommen. Er war so in Gedanken versunken, dass er nicht mitbekommen hatte, wie die anderen gegangen waren. Nur Wollheims gesichtslose Fratze schien ihn anzugrinsen.

Die Gruppe der Seisossa kündigte sich von Weitem mit viel Lärm an. Darüber war Larken etwas enttäuscht, es nahm ihm die Spannung. Die ersten Ziele kamen um die Biegung, doch Larken schoss nicht. Er wartete auf den perfekten Moment. Die sechzehn Mann starke Elite-Kampfeinheit arbeiteten sich systematisch den Gang vor. An jedem Schott blieben Sie stehen, schossen oder sprengten die Tür auf und durchsuchten die Räume. Immer acht Mann auf der einen und acht Mann auf der anderen Seite. Dann rückten Sie wieder gemeinsam zur nächsten Tür vor. Die Entfernung betrug nur noch einhundertfünfzig Meter. Bisher hatten sie Perkins nicht entdeckt. Der Gang war recht breit und die Aliens kamen in Viererreihen auf seine Stellung zu. Larken atmete langsam aus. Als die gesamte Luft aus seinen Lungen gewichen war, zog er den Abzug durch. Das Geschoss traf die rechte Echse in das Kinn und ihr Blut spritzte in einer Fontäne auf die anderen Krieger. Perkins fluchte leise vor sich hin, er hatte auf die Stirn gezielt. Reife Leistung, dachte er und justierte sein Gewehr mit einem einzigen Handgriff nach. Keine Sekunde später verließ die zweite Kugel den Lauf seiner Präzisionswaffe. Dieses Mal traf er in Augenhöhe den Kopf der Echse, die neben seinem ersten Ziel gestanden hatte. Im Drittelsekundentakt hallten seine Schüsse durch die Gänge. Acht Feinde lagen tot auf dem Gang. Die restlichen Elitekrieger hatten sich hinter der Biegung in Sicherheit gebracht. Larken atmete wieder ein und füllte seine Lungen mit Sauerstoff. Langsam ließ er die Luft wieder entweichen. Dabei behielt er die Biegung mit seinem Zielfernrohr die ganze Zeit im Auge. Einer der feindlichen Krieger lugte um die Ecke. Sein Kopf zerplatzte und verpasste der Wand hinter ihm einen wunderschönen roten Anstrich. Perkins jauchzte innerlich auf und bekam einen Orgasmus. Sein Ejakulat ergoss sich warm in seinen Kampfanzug. Die Stimme in seinem Kopf fing an zu kreischen und für einen kleinen Augenblick bebte sein Körper in völliger Ekstase. Dann passierte etwas sehr Erstaunliches. Die restlichen Elitekrieger stürmten laut schreiend um die Biegung herum. Dabei feuerten sie aus allen Rohren den Gang hinunter. Nicht ein einziger Schuss kam auch nur in die Nähe von Larken. Perkins konnte die Dämlichkeit, die hinter diesem Angriff lag, nicht begreifen. Ein Sturmangriff auf die Position eines Scharfschützen war noch nie eine gute Idee gewesen. Entweder man hatte dazu mehr Männer als der Schütze Vorrat an Munition oder man scheiterte. Sieben Schüsse verließen den Lauf und sieben weitere Leichen zierten den Gangboden. Überrascht über so viel Dummheit stellte sich weder Erregung noch Freude bei Larken ein. Er wartete noch ein paar Minuten auf mögliche Nachzügler, doch es kam niemand mehr. Die einzigen Kampfgeräusche hörten sich weit entfernt an. Larken erhob sich aus seiner Position und schulterte das Gewehr. In Gedanken erhöhte er seine Abschüsse. Mit den sechzehn, nein fünfzehn, der erste zählte nicht, das war kein richtiger Kopfschuss gewesen, betrug die Zahl nun 4387 und es würden noch mehr hinzukommen. Dessen war sich Larken sicher. Er packte sein Zeug zusammen und zog fröhlich dem Kampfeslärm entgegen.