Auszug aus Kapitel 4 - Der Anschlag
Ich stand auf der obersten Stufe und hatte meine Kampfpanzerung angezogen. Auch wenn dies ein weiterer Streitpunkt mit Ihrer Hoheit gewesen war, so hatte ich drauf bestanden und irgendwann war es sogar einer Kaiserin zu anstrengend geworden, mit mir darüber zu streiten, und sie hatte nachgegeben.
»Tun Sie, was Sie wollen, Major. Aber meinen Sie nicht, Sie übertreiben es ein wenig? Sie sehen darin immer so gefährlich aus – und diese ganzen Waffen. Muss das wirklich sein?«
»Ja, Eure Hoheit. Das muss sein. Ich gehe auf keinen Fall ohne meine komplette Kampfpanzerung auf diese Feier. Es ist so schon gefährlich genug und die Sicherheitsmaßnahmen auf einem extrem niedrigen Niveau. Ich muss Sie nochmals darauf hinweisen, dass ich mich nicht in der Lage fühle, für Ihren maximalen Schutz zu sorgen.«
»Ach nun fangen Sie nicht schon wieder damit an. Das haben wir schon stundenlang durchgekaut. Es bleibt wie besprochen und damit Schluss jetzt! Sie sind die absolut sturste Person, die mir je untergekommen ist. Mit Ausnahme Ihres Vaters vielleicht.« Dann wedelte Sie mit der Hand und gab mir zu verstehen, dass das Gespräch zu Ende war und ich mich zurückziehen sollte.
Da war auch wieder diese Anspielung auf meinen Vater. In den Jahren hatte ich jedoch aufgegeben, die Imperatrix darauf anzusprechen. Sie wich jedes Mal aus und ich war mir nicht mehr so sicher, ob sie meinen Vater wirklich so gut gekannt hatte, wie sie vorgab.
Als ich mich zurückzog, hatte ich ein zufriedenes Grinsen im Gesicht. Man muss sich auch an kleinen Dingen erfreuen können und dieses eine Mal hatte ich gewonnen. Ich war also stur. Ich konnte mir schlechtere Charaktereigenschaften vorstellen, mit der man meine Person hätte beschreiben können.
So stand ich nun da und schaute extrem gefährlich aus in meiner Kampfpanzerung – bis an die Zähne bewaffnet – und schwitzte wie ein Schwein. Wenigstens ging es nicht nur mir so. Ich hatte meine Kameraden aus Ford Krud ebenfalls in voller Montur antreten lassen. Darüber beklagten sie sich nun schon seit mehreren Minuten lautstark über den internen Funk. Es war mir egal und ich hörte kaum noch hin. Die gedankliche Kommunikation war ja schön und gut, konnte einem aber auch ziemlich auf den Geist gehen. Wenn ich schwitzte und es ertragen konnte, dann konnten die es auch. Ich hatte Aramis gebeten, auf den Funkverkehr zu achten und nur die wichtigen Dinge herauszufiltern. Der Alien in meinem Kopf war schon seit heute Morgen verdächtig ruhig. Ich sichtete noch einmal die Umgebung.
[Irgendetwas Besonderes, Aramis? Kannst du eine Bedrohung orten?]
{Negativ, John. Es scheint alles ruhig zu sein. Es sind eine Menge fröhlicher Menschen hier. Es fällt schwer, einzelne Personen zu sondieren. Es sind einfach zu viele Gedanken. Auch wenn meine Kräfte wieder stärker geworden sind, seit wir ein Team bilden, aber dafür reichen sie einfach noch nicht aus.}
Der Alien bezeichnete uns neuerdings gerne als Team. Es ist ja nicht so, als hätte ich eine Wahl gehabt. Nicht, dass Sie glauben, ich will mich beschweren. Es hat auch seine Vorteile, mit einem so unglaublichen Wesen eine Symbiose eingegangen zu sein. Zum Beispiel das mit dem Gedankenlesen von anderen Personen in meiner Nähe. Wir haben da lange drüber diskutiert, ob das überhaupt moralisch vertretbar sei, dann uns darauf geeinigt, was Aramis machte, war seine Sache. Ich sollte davon nur erfahren, wenn ein Notfall eintrat. Das war nicht moralischer, aber ich fühlte mich dabei besser. Ich wollte auf keinen Fall wissen, was die Imperatrix dachte!
Die Zeit verging und länger warten würde die Kaiserin nur noch wütender machen. Also gab ich über Funkt grünes Licht für den Auftritt Ihrer Strahlenden Herrschaftlichkeit. Die Show konnte beginnen.
Kaum betrat die Imperatrix die Bühne, brach die Menge in lautes Jubelgeschrei aus und es dauerte eine ganze Weile, bis wieder eine akzeptable Lautstärke herrschte. Mir fiel auf, dass das Klatschen und die Sie-lebe-hoch-Rufe auf den Tribünen deutlich verhaltener ausfielen. Besonders zurückhaltend waren einige Könige und Königinnen. Nicht alle waren mit der Politik der Kaiserin einverstanden. Ich bat Aramis um eine Analyse, wer am wenigsten seine Freude kundtat, und merkte mir die Namen. Ich war die Liste der Männer und Frauen, die im Namen der Imperatrix ihre Sektoren beherrschten, durchgegangen und hatte alles über diese Menschen erfahren, was es zu erfahren gab. Nennen Sie mich paranoid, aber meiner Meinung nach gingen von diesen Leuten die größten Gefahren aus. Nichts war so unberechenbar wie jemand, der nach Macht strebte, und da draußen saßen eine Menge mächtiger Leute, die einfach nicht genug davon bekommen konnten.
Da half von der Imperatrix nur strenges und unerbittliches Durchgreifen bei Fehltritten, aber leider passierte das nicht immer so, wie ich es mir gewünscht hätte. Jedenfalls bei den Fehltritten, die ich bisher mitbekommen hatte.
So hing ich meinen Gedanken nach und beobachtete aufmerksam die Umgebung, bis Aramis mich dabei unterbrach.
{John, wir bekommen Probleme!}
[Probleme? Was für Probleme?]
{Moment, ich arbeite daran. Hier stimmt etwas nicht. Ich empfange ganz komische Gedanken … Da ist … Oh verdammt!}
Ich spürte meinen Herzschlag ansteigen und war von der einen Sekunde zur anderen in voller Alarmbereitschaft. Wie von selbst lag meine rechte Hand auf der schweren Handfeuerwaffe im Holster.
[Was ist los? Aramis, rede mit mir!] Ich hatte nicht geglaubt, etwas könnte Aramis aus der Ruhe bringen. Er war sonst immer so geduldig.
{Wir haben einen Schützen. Drüben auf dem Dach des Gebäudes. Sein Ziel ist mir noch nicht klar.}
[Einen Schützen? Scheiße! Wo? Ich kann ihn nicht sehen, die Sonne blendet. Zeig mir die Richtung!]
Aramis markierte das Ziel für mich und gab diese Information direkt an mein Gehirn weiter. Nun konnte ich den Schützen gut 700 Meter von uns entfernt ausmachen. Er verbarg sich hinter einem Mauervorsprung auf dem Dach des mittleren Gebäudes direkt uns gegenüber. Da auch ich Scharfschützen auf den umliegenden Dächern postiert hatte, fragte ich noch einmal nach.
[Bist du sicher, dass es keiner von unseren Männern ist?]
{Ja und nein. Also es ist einer von unseren, aber mit ihm stimmt was nicht. Verdammt, das Ziel ist die Imperatrix! John, du musst sofort handeln. Er steht kurz davor abzudrücken}, schrie Aramis regelrecht in meinen Gedanken.
[Was?], rief ich genauso aufgebracht zurück. [Wie soll ich von hier …]
{»Jetzt, John, keine Zeit mehr! Darf ich?}
Ich wusste genau, was Aramis meinte, und so war meine knappe Antwort nur ein einfaches Ja. Das ging alles so verflucht schnell. Er übernahm für einen Lidschlag die Kontrolle über meinen Körper. Er zog die schwere Handfeuerwaffe und feuerte noch beim Ausstrecken des Armes eine einzige Kugel ab. Mein Finger hatte den Abzug noch nicht wieder gelöst, da steckte die Waffe bereits wieder im Holster. Es war eine einzige fließende Bewegung, die keine Sekunde gedauert hatte. Auf dem Dach explodierte ein Stück der Mauer und mit ihr der Schütze. Er hörte von einem Moment zum nächsten einfach auf zu existieren. Auf dem Platz und den Tribünen wurde es totenstill und auch die Imperatrix hatte in ihrer Rede gestoppt. Niemand konnte sich erklären, woher der Schuss kam und wie es zu einer Explosion auf dem Dach gekommen war.
Instinktiv bewegte ich mich rückwärts auf die Imperatrix zu. Damit wollte ich verhindern, dass ein möglicher zweiter Attentäter sein Ziel fand.
{Die Gefahr ist noch nicht vorbei, John. Ich orte einen weiteren Täter. Er befindet sich in der dritten Reihe vor der untersten Stufe. Ziel ist markiert. Ich kann ihn nicht ausschalten, ohne Unschuldige zu gefährden!}
[Was!], schrie ich förmlich.
{Er hat eine Thermalgranate!}
[Ausschalten! Ausschalten! Sofort! Keine Rücksicht!]
{Zu spät, John, er hat die Granate scharf gemacht.}
Eine Thermalgranate ist wirklich eine hässliche Sache. Selbst das kleinste Modell würde heute Hunderten Menschen das Leben kosten. Der Wirkungsgrad betrug mehr als 200 Meter. In diesem Radius würde keiner überleben. Blitzschnell drehte ich mich um 180 Grad und lief die letzten paar Meter zur Imperatrix hinüber, um sie dann unter meiner Kampfpanzerung vollständig zu begraben. Dabei stieß ich so fest mit ihr zusammen, dass diese augenblicklich das Bewusstsein verlor. Ich meine mich auch daran erinnern zu können, einige Knochen bersten gehört zu haben. Aramis hatte in der Zwischenzeit meinen Feuerbefehl und die Zielmrakierung an meine Kameraden über den implantierten Chip übermittelt. Nur deren außerordentlichen Reflexen und instinktivem Verhalten war es zu verdanken, dass eine Katastrophe verhindert wurde. Fast ohne Zeitverzögerung bestrichen sie den Attentäter mit schweren Waffen. Dabei mähten sie die ersten Reihen regelrecht nieder. Die Körper der Gäste platzten wie Wassermelonen und spritzen Blut, Knochen und Eingeweide in alle Richtungen.
Dann explodierte die Thermalgranate und legte im Umkreis von fast 200 Metern alles in Schutt und Asche. Komisch, ich hatte gar nichts gespürt, aber ich konnte meinen Körper auf einmal nicht mehr bewegen.